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Zusammen allein

Wir haben einen großen Schritt nach vorne gemacht, in eine von der Technik, die wir uns erschaffen, veränderte Zukunft. Endlich, endlich – wir leben digital.

Wir bleiben zuhause, denn die Welt kommt zu uns, in unsere Wohnhöhle, die behaglich und warm und gut ausgestattet ist. Das Essen wird uns geliefert, bis direkt vor die Haustür, die Bücher werden geliefert, (sofern wir noch welche lesen), unsere Schuhe und Pullover, die Staubsaugerbeutel, (sofern wir noch welche brauchen), Blumen oder ein wenig Bastelmaterial. Alles wird geliefert, was wir online bestellen. Unser Zeigefinger, der Mittelfinger, ein Daumen, vielleicht auch mal zwei rechte oder zwei linke flinke Finger erledigen das. Tipp tipp, eine Schiebebewegung, die so gut wie keine Kraft braucht, dann noch ein letzter Klick.

Wenn uns langweilig wird, suchen wir uns etwas Unterhaltendes aus. Wir können was streamen. Mit tipp tipp und klick klick, mit minimalster Bewegung von wenigen Fingern, manchmal nur von einem, und schon können wir was anschauen und etwas miterleben, etwas hören oder sehen, wie es uns gefällt. Unser Körper befindet sich derweil auf einem Sessel oder einem Sofa, gerne auch im Bett, sitzend oder liegend.

Aber wieso? Jetzt sei nicht so pessimistisch. Ist doch besser als nichts.

Ja ja, ist schon recht.

Manche von uns, die machen Gymnastik, Workout auf der Matte, und das Gerät, das vor ihnen steht, ist wie ein Partner, der sich ebenfalls bewegt. Auch wenn auf dem Bildschirm nur das Pixelbild eines winzigen Menschen, aber immerhin mit einem Lächeln, vor ihnen turnt.

Manche haben sich Virtuel Reality Brillen besorgt und treffen sich mit ihren Freunden zum Tischtennis spielen oder zum Tanzen in einem Club oder zum Wandern oder zum Klettern. Man sagt mir, das sei für den Körper dann ziemlich real. Die Kletterer hätten wirklich Höhenangst, sobald sie hinabsehen, und manche würden kotzen. Und manche, die trauten sich nicht zu springen, von einem Felsvorsprung ein paar Meter hinunter, in der virtuellen Welt, obwohl sie rein faktisch nur auf ihrem eigenen Küchentisch stehen. Man käme auch ins Schwitzen.

Unser Gehirn ist eine vielseitig benutzbare, geschmeidige Masse, sie ist manipulierbar und leicht zu verarschen. Und so fühlen sich auch viele gar nicht so allein, weil sie ja mit ihrem Smartphone, mit ihrem Tablet, mit ihrem Computer „alles“ in ihre Wohnhöhle hereinholen oder in die Wohnhöhlen der anderen eindringen können. Man kann sich jederzeit über Zoom oder Skype oder Jitsi oder so sehen. Man kann sich doch immer über Whatsapp verbinden. Oder wie sie alle heißen, diese Nachrichtendienste.

„Wenn du dich alleine fühlst, schick‘ mir eine Nachricht“, singt eine Sängerin, die wir kennen von früher, früher sogar einmal angefasst haben. „Dann kriegst du ein lächelndes Emoticon zurück. Ist das nicht schön? Ich schick dir auch zwei. Ich schick dir auch ein Lachen. Ein Zwinkern. Ein Lachen mit Tränen. Tipp tipp und dann ab. Ein Lächeln mit Herzchen. Ein Kussmund in groß. Ein gelbes, ein blaues, pinkes, weißes Herz. Ganz groß und in Farbe.“ Und sie singt das ganz fröhlich und meint das ganz ernst, weil Facebook schon lange ihr Ort der Freundschaften und Aufmerksamkeiten, eine ihrer größten Bühnen geworden ist.

Manche schicken einem auch ständig irgendwelche Filmchen. Immer diese Filmchen, diese ach so niedlichen, wahnsinnig lustigen, oft kindischen Filmchen. Mit Schneeskulpturen, die echt originell sind. Mit tolpatschigen Tierbabys, die wirklich ganz süß sind. Mit singenden Tenören, die tatsächlich ergreifend und anrührend sind. Oder einen Sketch, der einen mal so richtig aufmuntern wird. Das kann man dann alles an andere verschicken. Und wieder sind wir alle miteinander verbunden.

Was sind wir miteinander so herrlich verbunden, dank unserer Technik, die ein Strom fressendes Netz der Ersatzwelten ist! Dank unserer Satelliten, die die Erde umrunden, dank der Masten, die „alles“ versenden und „alles“ empfangen, dank den Glasfaserkabeln und Softwareentwickler. Unsere Kinder lernen inzwischen ihren Schulstoff allein und sie lernen, ihre Tage sitzend und tippend in ihrem Zimmer zu verbringen.

Darauf können wir stolz sein.  

Deshalb könnte ich heulen.

So unerwartet schnell hat sich diese digitale Revolution vollzogen, dass uns allen keine Zeit blieb, um die Folgen zu bedenken. Mein Entsetzen mag althergebracht und undankbar sein, aber ich habe die Befürchtung, die Macht der Gewöhnung hat das Vermissen des Realen wie Eis schmelzen lassen. „Alone together“ ist inzwischen eine Normalität im Leben von vielen, wovor Sherry Turkle vom MIT schon vor Jahren gewarnt hat. Viele akzeptieren die Isolation, gewöhnen sich an ihre Höhlen und meiden mittlerweile das Telefonieren oder das Gespräch, bei dem man zusammen an einem Tisch sitzt, sich zuhören und in die Augen schauen muss.

Weil wir es müssen, weil das Virus uns zwingt. Natürlich, so ist es.

Doch wie viel Nähe und direkten Kontakt mit den Menschen und der Welt erobern wir uns, wenn alles vorbei ist, wieder zurück?

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