Es hat jetzt drei Tage lang geschneit in Berlin und heute kommt zum ersten Mal die Sonne wieder durch. Das Licht, das auf den Schnee fällt, ist bombastisch, doch im Grunde wünschten wir uns, dass es ein bisschen mehr Frost hätte, damit der Schnee nicht gleich wieder schmilzt. Es war so schön die letzten Tage.
Auf unseren Balkonen bildeten sich akkurat geschliffene Schneeformationen. Ein hohes Sitzkissen auf unseren Stühlen. Ein pilzförmiger Kegel auf unserem Tisch und die Pflanzen waren in den Schneeverwehungen verschwunden. Auch im Hof sah alles brautjüngferlich aus. Die Fahrradkörbe lagen voll mit Schnee, die Gestänge und Lenker, die Mülleimer hatten weiße Hüte, alles war mit einer Schneekruste überzogen. Auf den Straßen im Viertel hatte der Schnee die Farbe von Buttercreme angenommen. Manchmal konnte man auch auf Marzipan oder Espressocreme kommen oder auf Butterstreusel, je nachdem, wie sehr der Schnee von den Autos geformt worden war. Alles war so still und eingehüllt. Die meisten Autos waren nicht benutzt worden. Sie standen eingeparkt am Straßenrand und eine fünfzehn Zentimeter hohe Schneeschicht hatte sie vollkommen umhüllt, so dass man sie kaum noch voneinander unterscheiden konnte. Der fein rieselnde Schnee und der Wind hatten die perfektesten Rundungen und Kanten hervor gebracht und wie wir gestern Abend über die weiß glitzernden Bürgersteige rutschten, malte H ab und an ein Gesicht auf die Schneedecke eines Autos. Ein Käfer- oder Katzen- oder Bärengesicht. Am Abend noch rieselte der Schnee und kitzelte auf unseren Gesichtern. Später als wir nach dem Abendessen bei C und M wieder nach Hause gingen, hatte es aufgehört zu schneien. Am Eingang zu unserem Hinterhaus tropfte es bereits von der Dachrinne herab. Die Tropfen fielen auf einen Strauch und auf ein daneben stehendes Fahrrad und an den dünnen Ästen und Blättern und dem Fahrradlenker hatten sich glänzende durchsichtige Eiszapfen, ganze Glasketten, gebildet. Auch unsere Dachfenster waren bis heute morgen völlig zugeschneit. Wir mussten kein Rollo mehr herunter lassen, denn der Schnee hatte die Fenster unter sich begraben. Das erinnerte mich an früher, als unser Vater uns einmal ein Iglu aus Schnee gebaut hat. Das Gefühl, von Schnee umgeben und bedeckt zu sein, ohne zu frieren, ohne nass zu werden und ohne die Gefahr, darunter zu ersticken, hat etwas Behagliches. Ich mag die Vorstellung, auf diese Weise eingeschlossen zu sein. Von der Außenwelt abgeschnitten oder eingeschneit zu sein, in einer warmen Hütte mit ausreichend Essen, vor der sich draußen hohe Schneemassen türmen, diese Art von Ausnahmezustand wünsche ich mir manchmal herbei. Wie eine große Hitze im Sommer, die zu Wasserknappheit und Trägheit führt, so liebe ich auch den Winter, wenn er die Menschen dazu zwingt, langsamer und vorsichtiger zu werden. Wenn er uns zwingt, inne zu halten und eine Art von Winterschlaf zu halten.