Icon für Prosa, Gestaltung © Maike Krasue

Wenn keiner mich braucht

– Erzählung

Aus dem geplanten Erzählband „DAS RICHTIGE LEBEN“

Die Erzieherin Jana vernachlässigt für Sekunden ihre Aufsichtspflicht, da verunglückt im Kitagarten ein Kind. Jetzt ist ihr Leben erst recht aus den Fugen.

Icon für Prosa, Gestaltung © Maike Krasue

Nur für wenige Stunden verströmte der Herbst sein goldenes Licht. Die Blätter der Linde besprenkelten gelb den Sand in den Kästen, die Wiese, die Wege, und in jeden Winkel ergoss sich die Sonne.

Neben dem Klettergerüst glühte der Ahorn wie auch das Weinlaub am Spielhaus. Dahinter war Jana mal eben verschwunden.
Sie zog das Smartphone hervor, tippte darauf und legte es sich verstohlen ans Ohr. Ihre Mailboxansage ertönte, dann seine Stimme, die ihr, was sie irritierte, nicht mehr vertraut war. Die Stimme von Christian, die ihr die Luft nahm: Schön, dass ich dich endlich anrufen kann.

Schon rief wer nach ihr, oder schrie. Eines der Kinder, mehrere Kinder. Sie kreischten lauthals.
Dürfte sie vielleicht … ein einziges Mal!

Jana trat aus der Deckung und sah sich kurz um, erhaschte wild winkende Händchen beim Klettergerüst, Prinzessin Karla und Pummelchen Mette, die, ging es ums Petzen, Verbündete waren, aber unschuldig taten, wenn eine die andere, um Besitztum zu klären, in den Unterarm biss. Das musste jetzt warten. Jana wandte sich ab, drückte das Smartphone noch fester ans Ohr. Christians Nachricht, es tat so gut ihn zu hören.

Mette zerrte an ihrem Ärmel. Ihr Puppengesicht war rot wie der Ahorn. Jana! Da drüben! Schau doch, der Raul!

Jana durchfuhr es, als sie das Flackern in Mettes Knopfaugen sah. Sie steckte das Gerät weg und lief neben ihr her, hinüber zur Rutsche, vorbei an den staunenden anderen Kindern, manche noch lachend. Dann sah sie den Jungen.

Wie konnte das sein? Er wäre hinuntergefallen, er hätte geblutet, er hätte sich etwas gebrochen, das wäre noch fassbar gewesen. Aber erhängt –

Nun blieb ihr nur eines. Sie drückte die Füße fest in den Rahmen des rutschigen Blechs, zog sich mit zitternden Armen hinauf, und schob den Jungen nach oben. Sie hielt ihn, so gut sie konnte, damit sein Körpergewicht die Schlinge, in der er hing, nicht mehr enger ziehen konnte.

Ich bin bei dir, keine Angst. Raul, alles gut? Raul gab keine Antwort. Kollegin Sabrina, die Jana herbei schrie, stieg katzenhaft die Leiter hinauf, bis hoch aufs Podest, und löste von dort den Knoten im Schal. Jana rutschte mit Raul, der still und erschlafft war, zum Boden hinab. (…)

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