– Erzählung
Aus dem geplanten Erzählband „UND ICH WERDE GLÜCKLICH SEIN“
In einem Staatstheater in den 1980er Jahren. Dem Schauspieldirektor gehört die Macht, das Verhältnis zu ihm bestimmt über die Karrieren. Dies führt zwischen zwei jungen Frauen zu Feindseligkeiten.

Leseprobe:
Der Chefdramaturg, ein grauer Herr, dessen Händedruck kühl und zaghaft war, hatte mich an jenem Januartag am Seiteneingang des Theaters abgeholt. Er sagte, schön, dass Sie da sind, und ging mir voraus.
Er erkundigte sich, wie meine Fahrt war. Obwohl er von schmächtiger Statur war, schleppte er meinen großen Koffer, ein Erbstück meines Vaters, keuchend durch die Gänge, zwei Treppen hinauf, an vielen Türen vorbei bis in sein Büro. Schließlich schob er den alten Koffer an seinen Schreibtisch und tätschelte ihn. Sie können ihn nach der Probe abholen. Ich sagte, danke, das mach ich.
Er war mir sympathisch. Er händigte mir das Spielzeitheft aus, dann wollte er wissen, ob ich das Stück mögen würde, bei dem ich hospitierte. Ja und Nein, sagte ich, ich versteh es nicht ganz. Er nickte eifrig. Das macht es, sagte er, für uns umso interessanter.
Sein Büro war verqualmt. Auf seinem Schreibtisch, der mit Schriftstücken aller Art, Manuskripte und Bücher, bedeckt war, stieg aus einem Aschenbecher, randvoll mit Stummeln, ein Rauchfaden auf. Er drückte fahrig die noch glimmende Zigarette aus, bevor er sich eine neue ansteckte. Dann mal los, sagte er und langte nach dem Telefon. Sie ist bei mir, sagte er in den Hörer. Während wir warteten, bemühte er sich, noch ein wenig zu plaudern. Am besten, sagte er, man springt gleich ins kalte Wasser.
Wenig später klopfte es, die Tür sprang auf und Ricarda trat ein. Sie war sehr groß und schlank, ihr brünettes langes Haar hatte sie schmucklos und straff zusammengebunden. Sie trug ein schwarzes Jackett mit kantigen Schulterpolstern, über einer schwarzen Hose kniehohe Stiefel. Ein schwarzes Brillengestell verlieh ihrem Gesicht einen sachlichen Ausdruck. Wie eine strenge rote Linie erschien mir ihr Mund. Sie war kaum älter als ich, aber sie flößte mir, so wie sie auftrat, sofort Respekt ein.
Hi, sagte sie, was keineswegs wie ein Willkommensgruß klang. Trotzdem lächelte ich, als ich sie begrüßte, ich ging auf sie zu, die Hand ausgestreckt. Ich bin schon sehr gespannt, sagte ich. Freu mich riesig auf die Proben. Sie nickte gelangweilt. Sie ignorierte meine Hand und hielt mir die Tür auf.
Komm mit, sagte sie, gleich fängt es an. (…)