Die Erzählung wurde Vorlage eines gleichnamigen Hörspiels, das für den Prix Europa 2007 nominiert war.
Der freiheitsliebende Gemütsmensch Jan Goll muss seine Komfortzone verlassen. Eine dubiose Anlageberaterin und ein absurdes Sicherheitswahn-System rauben ihm die Lebensfreude.
Jan Goll muss sich wehren.

Leseprobe:
Der Abend, an dem unser Leben eine überraschende Wendung nahm, hatte eigentlich recht gemütlich begonnen.
Meine Frau hatte unser Lieblingsgericht, Krautwickel mit Kartoffelbrei, gekocht, und ich konnte mal wieder nicht eher aufhören, bis der letzte Wickel vertilgt war. Ich zapfte uns portugiesischen Wein, und da wir Feierabend hatten, gossen wir uns davon ein paar Gläschen hinter die Binde.
Wir waren guter Dinge. Es war Frühling, die Balkontür stand offen, und ein laues Lüftchen wehte herein. Sobald ein Vogel zwitscherte, lauschte Suse und strahlte. Sie war nach einer langen Winterstarre zu neuem Leben erwacht. Richtiggehend übermütig war sie, unternehmungslustig geradezu. Sie meinte, sie wolle mal wieder verreisen, und wir debattierten gerade darüber, ob wir zum Wandern in die Berge oder zum Schnorcheln ans Meer fahren sollten, als es an der Wohnungstür schellte. Wir dachten, das kann nur der Nachbar sein, der von gegenüber, bei dem wir immer die Pflanzen gießen, wenn er unterwegs ist, und ich schlurfte in meinen Pantoffeln zur Tür.
Ich staunte nicht schlecht. Im Flur stand eine füllige Dame mittleren Alters in einem dunkelblauen, strengen Kostüm. Ihr großer Mund, knallrot geschminkt, stach mir ins Auge.
„Guten Abend, Herr Goll“, schnaufte die Dame. „Mein Name ist Jansen. Von der Anlagen- und Vermögensberatung.“
„Guten Abend“, sagte ich. Ich wollte nicht unhöflich sein. Wir wohnten im fünften Stock, ohne Fahrstuhl. Sie war etwas außer Atem.
„Entschuldigen Sie, dass ich Sie so spät noch störe“, sagte sie, „aber man sagte mir, dass man Sie um diese Zeit am besten erreicht.“
„Wie?“, fragte ich skeptisch und lehnte mich an den Türpfosten. „Wer sagte Ihnen das?“
„Meine Mitarbeiter, Herr Goll“, sagte sie, wieder zu Atem gekommen. „Sie müssen wissen, wir führen über sämtliche potentielle Kunden eine ausführliche Kartei.“
„Aha. Sie führen eine Kartei. Über mich. Das ist ja interessant.“ Ich wusste nicht wirklich, ob ich mich ärgern sollte. Heutzutage wissen eine Menge Leute über einen Bescheid. Da war Ärgern sinnlos.
„In diesem Fall, Herr Goll, geschieht dies ganz in Ihrem Interesse, glauben Sie mir.“ Die Dame machte ein ernstes Gesicht. „Wir arbeiten in Abstimmung mit staatlichen Behörden und unsere Beratung ist sicherlich von Nutzen für Sie.“
Nun strahlte sie fast etwas Mütterliches aus. Das lag wohl an ihrem riesigen Busen und an ihrem sorgenvollen Blick. Aber ja, ich war betrunken.
„Hören Sie. Also, ehrlich gesagt, es passt gerade wirklich nicht“, sagte ich. „Vielleicht könnten Sie ja ein ander Mal…“
„Schade, Herr Goll.“ Die Dame zog ein trauriges Lächeln auf. „Heute wäre meine Beratung für Sie noch umsonst.“
Sie seufzte, ich aber schüttelte energisch den Kopf. „Wissen Sie“, sagte ich schnell, „ich glaube, wir brauchen überhaupt keine Beratung. Das ist der Punkt.
Damit wäre die Sache erledigt gewesen. Aber da war plötzlich Suse neben mir aufgetaucht.
„Hallo!“, zwitscherte sie. „Was gibt’s denn hier umsonst?“ Suse schwankte ein wenig und hielt sich an meinem Hemdsärmel fest. (…)