Darauf können wir stolz sein. Wir waren dabei, können wir später sagen. Auf der richtigen Seite. Am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Zum Weltfahrradtag am 3. Juni waren geschätzte 50.000 demonstrierende Radfahrer*innen auf der A100 unterwegs. Heute sind wir ein Teil von geschätzten 13.000, die den im Stau steckenden Autofahrer*innen ihre Botschaft demonstrieren:
Seht her, wir sind viele!
Uns gehören heute die Straßen!
Wir brauchen breitere Streifen, auf denen wir zur Arbeit, mit unseren Kids zur Kita, vom Supermarkt nach Hause oder sonst wohin flitzen.
Ihr müsst uns etwas von euren Straßen überlassen, von den Fahrbahnen, von euren Spuren und von den Parkbuchten auch.
Die Straßen wurden einmal für Kutschen gebaut, dann kamen die Autos und jetzt kommen wir.
Wir brauchen breitere Streifen. Wir brauchen sichere Streifen. Wir wollen uns nicht mehr fürchten vor euch.
Seht euch nur mal die Varianten unserer Fahrräder an: Rennräder, Triathlonräder, Zeitfahrmaschinen, Liegeräder, Handbikes, Fatbikes, Dirtbikes, Trekkingräder, Single Speed Bikes, Urban Bikes, Retrobikes, Kinderfahrräder, Jugendfahrräder, Hollandräder, Falt-Klapp-Räder, Lastenfahrräder, Lieferservice-Räder, E-Roller, Fixies, Bahnräder, Cruiser, Einräder auch, Lowrider, Tandems und wie sie alle heißen. Vielfalt ist unser Motto.
Auf den viel zu schmalen Streifen, die ihr uns überlasst, kriegen wir uns in die Haare. Wir brüllen uns an, die Schnelleren die Langsameren, die Zweirädrigen die Dreirädrigen. Wir kommen ja kaum noch aneinander vorbei, an unseren Lasten und Ladungen, an unseren Körben und Boxen.
Wir werden immer mehr, wir brauchen mehr Platz!
Wer demonstriert, der blockiert den Verkehr. Auf den Gegenspuren, an den Kreuzungen brodelt, das ist unvermeidlich, sofort Ärger. Ein Krankenwagen steckt fest hinter den aufgestauten Straßenbahnen und Autokolonnen. Verzweifelte Touristen rennen mit ihren Koffern einen Bürgersteig entlang, auf der Suche nach einem Verkehrsmittel, das sie noch rechtzeitig zum Bahnhof bringen könnte. Ein Mann schimpft aus seinem steckengebliebenen Auto, was das hier soll, sie müssten in ein Krankenhaus. Ein anderer will nicht einsehen, dass er nicht mal eben durch die Fahrradkolonne rasen darf, um auf die andere Seite zu gelangen. Fahrradpolizist*innen und Ordnungsbeauftragte des ADFCs klären auf, versuchen alles zu regeln, die Gemüter zu beruhigen.
Es bedarf einer klaren Marschroute, um die verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 um 90 % zu verringern. So gibt es die Europäische Kommission vor.
Wir Fahrradfahrer*innen sind deshalb überzeugt, das Richtige zu fordern. So wie wir uns fortbewegen, heizen wir das Klima auf unserem Planeten nicht weiter auf. Wir machen, was ansteht, wir sind die Vernunft. Wir üben Verzicht und leben gesünder. Die Luft wird weniger verschmutzt, es ist ruhiger in der Stadt, wenn statt der vielen Autos mehr Fahrräder fahren.
Aber die auf der Gegenseite, die inzwischen die Hauptstadt regieren, behaupten ebenfalls, vernünftig zu sein. Sie halten uns für Spinner, für fanatische Ideologen, für Linksradikale. Sie beharren auf alten Rechten. Der „ruhende Verkehr“, das sind die parkenden Autos, und der „motorisierte Individualverkehr“, also die Autos, sollen wieder mehr berücksichtigt werden. So formuliert es die neue Verkehrssenatorin von der CDU, die den Verkehr wieder schwarz regeln will. Der Konsum in der Innenstadt breche sonst ein, die Menschen aus dem Umland kämen nicht mehr zur Arbeit. Seht her, wir sind die Mitte, der Interessenausgleich, wir stehen für Fortschritt mit gesundem Augenmaß.
Sehen wir, sagen wir, und reiben die Augen.