Sie sah aus wie eine Mischung aus Dunkelelfe und Wednesday Adams. Das glatte Haar, glänzend und rabenschwarz, bedeckte ihren Rücken, es war ein Hornfäden-Umhang und er reichte bis zum Po. Ein schwarzer Pony fiel über ihre blasse Stirn bis zu ihren schwarz umrandeten Augen. Ihr schwarz bekleideter Körper wirkte wie von Tim Burton gezeichnet. Er war so feingliedrig und schmal, als wären seine Organe seit der Geburt nicht mehr gewachsen, und die Knochen so filigran wie bei Störchen oder Reihern.
Die Elfe bewegte sich behände durch die Räume des Lokals. Die Wohnzimmerbar (ramponierte Polstermöbel in schummrigem Licht) war für sie eine Bühne. Sie trat auf mit zwei Getränken und einer hellen Zwitscherstimme, mit der sie wortreich anpries, was sie in den Händen hielt. Ein Bier und ein Wein, wer hat das bestellt? Huhu, Bier oder Wein? Hallöchen, aufgepasst! Sie war sehr ausgelassen, warf ihren Kopf hin und her. Ich arbeite eigentlich gar nicht hier, gab sie schelmisch kund, und schwirrte, als wir ihr winkten, zu uns heran.
Ich starrte auf ihre Nägel und konnte nicht an mich halten, sie darauf anzusprechen. Es waren künstliche Nägel, schwarz lackiert mit silbernen Ornamenten, Nägel vor allem von beachtlicher Länge, als wäre ein viertes Glied an jeden ihrer Finger angesetzt.
Die Elfe warf sich erfreut uns gegenüber in den Sessel, beugte sich zu uns und spreizte ihre Finger. Man spräche sie ja häufig auf ihre Nägel an. Manche hätten Angst vor ihnen. Dabei wären sie ganz sanft. Sie fuhr sich mit ihren Krallen über die verblassten Tattoos auf ihren mageren Armen. Das kratzt überhaupt nicht. Wollen Sie das mal probieren? Bitte, einmal ihren Arm. Ich schob den Pullover hoch, hielt ihr bereitwillig meinen Unterarm hin.
Sie unterbrach uns beim Diskutieren. Wir hatten über Politik, die Parteien und die Wahl diskutiert, worüber wir neuerdings fast ohne Unterlass sprechen. Die Elfe strich mir mit ihren Nägeln über die Haut. Sie waren wirklich stumpf und weich. Ich kann ihnen sagen, damit über die Kopfhaut oder den Rücken zu streichen, das lieben die meisten. Sie war stolz auf ihre Nägel, die sie selbst für feminin hielt. Sie führte uns vor, wie sie Münzen von einer Fläche aufnimmt, wie sie tippt auf Tastaturen. Nur an Geldautomaten hätte sie ein Problem. Da muss ich immer jemand fragen, erzählt sie uns fröhlich, der mir kurz hilft.
Die Nägel waren schön gestaltet, wirklich makellos. Wir fragten nach, was sie sie kosten würden. Hundert Euro, sagte sie und begann zu erzählen, wie der eigene Nagel bis auf eine dünne Schicht eben abgeschliffen, dann Schicht für Schicht Acryl aufgetragen und das Ganze mit feinen Pinseln verziert werden würde. Der eigene Nagel wäre darunter nicht mehr so schön, und was nachwachsen würde aus dem Nagelbett, würde alle vier bis sechs Wochen dem Gesamtbild angeglichen. Was wieder 100 Euro kosten würde. Viel Geld, sagten wir. Da stand sie auf mit einem Lächeln und schwirrte davon. Ich vermisste sie sogleich, ihre Selbstverliebtheit, ihre Zutraulichkeit und ihre Verspieltheit. Sie hatte uns amüsiert. Meine Freundin und ich schauten scherzhaft auf unsere Hände. Unsere Nägel waren rosa, mit kurzen weißen Rändern. Sie kamen mir realer vor und passten gut zu den Fältchen, womit unsere Hände unser Alter verrieten.
Ich habe die Hände meines Vaters geerbt. Sie sind kräftig, die Finger mittellang, die Nägel stabil. Auch die Hände seiner Mutter, die Hände meiner Oma, erkenne ich in ihnen wieder, je älter sie werden. Meine Hände sind nicht so gerötet und aufgedunsen wie ihre es waren, weil ich nicht mein ganzes Leben lang mit ihnen Wäsche waschen und Geschirr spülen musste. Sie sind nicht so zerschunden, weil ich nicht ein Leben lang mit ihnen Ackerfurchen ziehen, Kartoffen und Gemüse, Beeren und Steinobst einbringen musste. Sie sind auch nicht durch Arthrose verbogen, und seit ich erwachsen bin, wurden sie von dauernder Schwerstarbeit weitgehend verschont. Trotzdem mag ich an ihnen, dass sie, wenn es sein muss, ungehindert zupacken können und für so manches einsetzbar sind. Ich kann mit ihnen Holz spalten, wenn mir danach ist, Spitzhacken führen, einen Schlaghammer schwingen, Wände streichen oder Gartenarbeit. Ich kann Teig mit ihnen kneten, Gemüse kleinschneiden, einen Faden in eine Nadel einfädeln. Sie sind wirklich nützlich, meine ungeschönten Hände mit den kurzen Fingernägeln, sie können Grobes und Feines.
Was davon kann die Elfe mit den schwarzen weichen Krallen? Wenn ich sie noch einmal treffe, werde ich sie danach fragen. Vielleicht gehe ich gleich morgen Abend noch mal hin, in das schummrige Lokal, in dem sie herumschwirrt. Es wäre so schön nebensächlich, überhaupt nicht politisch.