Gestern Nachmittag halb vier kam mir der Gedanke, mit der Arbeit aufzuhören und noch ein Stündchen vor ein Café zu sitzen, um eine Zeitung zu lesen.
Ich an den Schrank, ein wenig Schminkischminki und los mit dem Fahrrad. Unterwegs zum PBerg, wo die Bürgersteige lange Terrassen mit Cafétischen sind, überlege ich, wo es überhaupt noch Zeitungen gibt. Vor Corona im Krümel und in der Bekarei, im Liebling gab’s die Süddeutsche und den Tagesspiegel, sogar die ZEIT lag auf dem Tresen, in dem kleinen Cafe-Bistro gab’s auch mindestens eine. Aber jetzt. Im Krümel gibt’s keine Zeitungen mehr, in der Bekarei auch nicht, da liegt nur ein kostenloses Anzeigenblatt, das Café-Bistro ist schon zu, wo auch keine gewesen wäre, nur im Liebling gibt’s noch eine, die sich gerade zwei Gäste teilen. Zwei Neandertaler (wie ich) aus dem letzten Jahrhundert.
Ich bestelle Cappuccino, auch so eine Sache aus dem letzten Jahrhundert, und belauere die beiden, wie sie lesen und blättern, es raschelt so schön. Als sie endlich aufstehen, schnappe ich mir das Blatt, das sie ordentlich gefaltet auf ihrem Tisch hinterlassen. Vielleicht bestelle ich noch was. Jetzt hätte ich gerne doch eine Karte. Auch die Preise sind nach Corona ja nicht mehr dieselben. Der junge bärtige Kellner, der hinterm Tresen chillt, verweist mich auf den QR Code. Der klebt auf jedem Tisch.
Ich zottele ab nach draußen, noch regnet es nicht, hole mein Smartphone hervor und scanne den Code ein. Wunderschön, das Café Liebling auf 6 Zoll. Perfekt inszenierte Instagram-Fotos, dazwischen viel Weiß mit verschnörkeltem Text. Und wo ist jetzt die Liste mit den Speisen und Getränken, wo sind die Preise? Ich bin erst mal beschäftigt, zwei drei Minütchen, bis ich mit wenig trickreichen Klicks das Geheimwissen finde. Ich nehme einen Saft, der ist hier gut, das weiß ich, und nicht ganz doppelt so teuer als vorher. Und wie bestelle ich den? Vielleicht soll ich das auch online ausführen? Ich schaue mich nach einer Servicekraft um. 5, 10 Minuten.
Eine Kellnerin, endlich, biegt um die Ecke. Sie trägt bauchfrei, hohe Jeans, ein breites Lächeln im weichen Gesicht. Ich kann sagen, was ich möchte, sie nimmt meine Bestellung auf, mit einem Klick auf ihrem Smartphone. Wir sprechen ein paar Worte, wir schauen uns an.
Bis mein Rhabarbersaft kommt, habe ich die Stimme von K am Ohr. Drei Minuten 14 Sekunden spricht K zu mir, aus meinem Gerät, und ich lächle vor mich hin. Mit der mache ich am Sonntag sogar was Spontanes! Der Saft wird gebracht.
Nun also, die Zeitung. Ich falte sie auf, sie hat ein neues Format, liegt gut auf dem Tisch. Mein Stündchen mit ihr ist zusammengeschrumpft. Ich komme noch dazu, den Aufmacher zu lesen, der knapp gefasst und informativ ist. Der Tagesspiegel sei eigentlich keine Zeitung mehr, beklagte sich im Frühjahr einer ihrer Redakteure, mit dem ich befreundet bin. Er arbeite nur noch für ein Experiment. Eine Freundin hat ihr Tagesspiegel-Abo gekündigt. Die Inhalte der gedruckten Zeitung seien nur noch Zweitverwertung, es seien die Inhalte der Online-Version. Kann sein, dass sie recht hat. So liest es sich auch.
Egal, ich muss los. Ich habe eine Verabredung an Raupes Schule. Der Himmel verdunkelt sich, gleich gibt es Regen, dem ich zuvorkommen sollte. Bei einer Elternversammlung pitschnass aufzutreten, macht sich nicht gut. Den Saft, der sehr fruchtig schmeckt, nach echtem Rhabarber, – ich bin im PBerg und der Saft sicher bio -, kippe ich hinunter und haste ins Café, weil die Kellnerin nicht vorbeikommt, um mich abzukassieren. Bezahlt wird mit Ec-Karte oder dem Smartphone. Bargeld ist out. Das Lesegerät schlägt mir noch ein Trinkgeld vor. 5%, 10%, 20%. Ich tippe was ein und niemand sagt Danke. Fühlt sich alles seltsam an.
Ich schwinge mich aufs Fahrrad, schon prasseln die Tropfen auf mich herab. Echter nasser Regen.