Sie hielt es falsch. Sie achtete nicht darauf, dass sie gut im Bild war. Ich erreichte sie beim Kochen, Möhren und Erbsen, Kartoffeln, etwas Fisch, sie hatte sich sogar einen kleinen Salat gemacht. Darüber war ich froh, das ist ein sehr gutes Zeichen, wenn sie sich ein vollständiges Essen zubereitet. Es strengt sie an, so ein Essen kochen, danach muss sie sich hinlegen, klagte sie wie immer, und ich dachte wie so oft, ja, so ist das mit neunzig. Dann legen wir uns hin, nach dem selbstgekochten Essen, nach jedem größeren Essen, natürlich machen wir das dann. Alle würden das so machen.
Ich sah nur einen Ausschnitt ihrer Wange in groß, ein Faltental, oder ich sah sie viel zu dunkel, konnte ihren Kopf nur als Umriss, als Schatten erkennen, oder das Bild fing an zu wackeln, bis sie ihr Smartphone wieder etwas ruhiger hielt.
Wichtig war ihr wahrscheinlich, dass sie mich halbwegs gut sah und das, was ich ihr zeigte. Ich machte eine kleine Führung auf unserem Balkon, zeigte ihr die Clematis, die dunkelvioletten untertellergroßen Blüten, die sich an die gelben gefüllten Rosen schmiegten. Die Blüten tanzten im Wind miteinander. Ich zeigte ihr die weißen Apfelrosenblüten, die wie Seidenblumen aussehen, deren flüchtige Schönheit. Ich versuchte mich selbst in ein gutes Licht zu stellen, nicht zu grell, nicht zu dunkel.
Beim letzten Telefonat war ich mit ihr, mit ihrem Gesicht auf dem 6 Zoll großen Bildschirm, durch die Schrebergärten spaziert. Ich nehme sie manchmal mit, wenn ich durch die Gärten gehe. Ich zeigte ihr den Schneeballstrauch, die Kirschblüten in der Allee, die himbeerfarben blühenden Rotdornzweige, und einen Border Collie, der ähnlich aussah wie unsere Hündin Cora, die wir früher einmal hatten, als sie Mitte dreißig und ich ihr kleines Kind war. Zum Abschied sagte sie, „zeig mir doch noch mal deine schönen blauen Augen.“ Ich schaltete um und zeigte sie ihr.
Zum Abschied sagt sie auch öfter, „ich freu mich, wenn du kommst. Ich freu mich auf dich.“ Immer soll ich Bär und Raupe von ihr grüßen. Sie wünscht mir Gesundheit. Das sind sehr schöne Momente, wenn sie nicht nur um sich selbst und ihren alten Körper kreist, der ihr seine Dienste versagt, der ihr Schmerzen bereitet, in dem sie aber wohnen muss, bis sie ihn verlassen kann.