Jeden zweiten Tag mindestens, trichtert mir die Hausärztin ein. Zweimal Joggen, einmal Schwimmen, mehr schaffe ich nicht. Manchmal Morgengymnastik mit Gabi Fastner.
Ich schwimme am liebsten in einem Becken. Das Wasser ist klar und beleuchtet, die Strecke liegt vor mir, ist mit schwimmenden rotweißen Ketten markiert, an der Wand hängt die Uhr. Ich schwimme mit Schwimmbrille Brust, tauche ein, tauche auf. Etwa 1000 Meter. 25 Minuten.
Zuerst schaue ich immer, welche Schwimmbahn für mich passt. Wo wird wie schnell geschwommen? In der Schweiz und in England sind die Bahnen in schnell, mittel, langsam eingeteilt und am Beckenrand markiert. Wir in Deutschland, so sehen es die Behörden und Bäderbetriebe, ordnen uns selbst der richtigen Bahn zu, wir fädeln uns ein, das machen wir ganz harmonisch. Irgendwie klappt das. Es klappt jedenfalls häufig.
Habe ich die Bahn, die für mich passt, ausgewählt, die Schwimmer:innen eingeschätzt, setze ich mich auf den Beckenrand und gleite ins Wasser. Natürlich erst, wenn die Bahn vor mir frei, ein paar Schwimmzüge frei ist, damit ich in meinem Tempo losschwimmen kann. Sind langsame Enten vor mir auf der Bahn, schwimme ich von hinten an sie heran, überhole aber nicht, wechsle stattdessen, sofern diese frei ist, auf die andere Bahn, auf der man zurückschwimmt. Ich überhole nur sehr selten, weil das meistens für Stress sorgt. Gerne schwimme ich einer kraulenden Person hinterher. Schwimme in den Wasserperlen, die sie erzeugt, wie in einem Whirlpool. Das ist herrlich belebend. Wenn jemand schneller als ich schwimmt, also hinter mir drängelt, gebe ich ein Zeichen, sobald wir beide am Beckenrand angelangt sind. Ich sage, „los, du zuerst.“ Ein paar Worte zu wechseln, stiftet Gemeinschaft. „Heute ist voll, aber wir schaffen das“, munterte ich neulich eine Schwimmerin auf. So gelingt es mir meistens, in trauter Harmonie mit den anderen zu schwimmen.
Gestern allerdings klappte das nicht. Ich schwamm auf einer Bahn mit mittelschnellen Schwimmern, schwamm zügig auf den Beckenrand zu, was bedeutete, dass ich ihn gleich kurz berühren, eine Wende vollziehen und mich mit den Füßen wieder abstoßen würde, als eine Frau von der Bahn nebenan blitzschnell unter der Kette durchtauchte und direkt vor mir hochschoss. „Wie ist es denn hier“, fragte sie erregt, „auf dieser Bahn?“ „Gut“, sagte ich. Ich war ausgebremst, wollte aber weiterschwimmen, an ihr vorbei, den Beckenrand berühren, abstoßen, weiter. Da nahm sie einfach meinen Platz ein, den ich zum Abstoßen brauchte und schwamm mir vor die Nase. „Äh, Moment mal“, sagte ich völlig perplex und fasste nach ihr, ein hilfloser Reflex. Ich erwischte ihren Arm, aber ohne sie zu halten. Sie schwamm vor mir davon. Ich ihr wütend hinterher.
Ich hatte schon vorher laute Stimmen gehört, die von der Nachbarbahn gekommen waren. Eine Stimme war ihre gewesen. Es hatte nach lautem Zetern geklungen. Sie hatte schon nebenan für schlechte Stimmung gesorgt.
Als ich nach 100 Metern wieder am gleichen Beckenrand ankam, erwartete mich die dreiste Dame oben am Beckenrand, die Hände verschränkt, in Verstärkung einer Bademeisterin. Sie hatte sich tatsächlich über mich beschwert, weil ich sie angefasst hatte. Nun wurde ich belehrt, von wegen Rücksicht und so. Was sollte ich dazu noch sagen? Verkehrte Welt, dachte ich. Für diesen Tag war mir das Schwimmen verdorben. Drei Bahnen entfernt schwamm Bär, auch mittelschnell. Ich wartete auf ihn, dann gingen wir duschen.
Ich sah die Dreistigkeit noch einmal, als ich meine Haare föhnte. Eine Frau in meinem Alter, vielleicht etwas jünger, schlank, gebräunt und sportiv, in lässigem Hemdkleid, mit blau getönter Brille, wasserbeckenblau. Sie sah gutsituiert aus, sie sah nach Durchsetzungsvermögen, nach Führungsetage, nach einer hohen Position aus, die sehr hart erkämpft war. Sie zog sich, mit zügigen Bewegungen, ihre weißen Sneaker an. Etwas an ihr war imponierend, aber was mir imponierte, stieß mich gleich wieder ab. Ich war froh, als sie endlich aus meinem Blickfeld verschwand.