Ich war weg.
Wo warst du?
In den Ferien. Bei meiner Mutter. Mit meinen Freunden. Ich war nicht weit weg, aber sehr.
Mein Leben ist sonst nicht so. So menschennah, weißt du. Es wurde so viel geküsst und umarmt in diesen Ferien.
Gemeinsam gegessen, in der Sonne gebadet, geschwommen, gewandert. Wir haben zusammen dem Mond bei seinem Schweben durch die Nacht zugeschaut.
Ich wünsche mir das im vorhinein sehr. Ich vermisse das sehr. Mit einer wachsenden Sehnsucht laufe ich nach dieser Nähe herum. Wochen und Monate lang. Und wenn ich sie dann erlebe, gehe ich mir verloren. Ich rausche dann an mir vorbei. Je mehr ich von den Anderen, die ich liebe, aufzunehmen versuche, von ihren Gesichtern und Geschichten, von der Sprache ihrer Augen, ihren Körpergerüchen, ihrer Art sich zu bewegen, umso mehr tritt etwas in mir zurück, was davor noch ganz groß, wenn auch undeutlich war.
Ich bin dann ganz Trichter. Ein Trichter über einem Fass. Ein großes Fass über einem noch größeren Tank. Denn unermesslich komplex ist jede und jeder beschaffen, und ich platze vor Interesse. Ich kriege nie genug davon, möchte sie alle wie mich selber verstehen.
Wie dich selbst?
Ja, wenigstens in demselben jämmerlichen Maße.
In diesen paar Tagen?
Ja, es ist nicht viel Zeit. Wir haben nicht viel Zeit uns kennenzulernen, um uns vage zu begreifen. In diesen Ferien, die immer zu kurz sind. Noch weniger danach, zwischen den Ferien, in der Leistungserbringungszeit, in der das Leben dem Puls uns steuernder Uhrzeiger folgt.
Wie kann ich begreifen, was mein Kind in der Schule erlebt hat? Wie kann ich verstehen, was mein Mann jeden Tag bei seiner Arbeit erfährt? Erzählen sie es, so habe ich hoffentlich ein halbes Ohr, um es, während ich koche oder den Spüler einräume, zu hören.
Ein ganzes Ohr, ein Dutzend Ohren möchte ich deshalb haben, in diesen Ferien, für meine beiden und die Nächsten um mich, erst recht für all jene, die ich viel seltener sehe und trotzdem sehr liebe, von deren Nähe ich ohnehin nicht genug kriegen kann.
Für ein paar Tage war ich also wie ein Trichter, bis ich wieder randvoll war. Bis ich ganz voll und ganz schwer geworden war, und das Bedürfnis nach ruhigem Verdauen entstand, nach Rückzug und Abstand. Dann kroch ich zurück, wieder näher an mich, die alte Bekannte heran. Ich fühlte die Fülle und Leere in mir, bis ich es, was letztlich banal ist, verstand: Ich würde, was ich am meisten genieße, nicht dauerhaft aushalten können. Die Nähe meiner Geliebten, wären sie alle ständig um mich herum, würde die Sehnsucht nach ihnen vernichten.
Ich muss, so wie ich gemacht bin, mich wieder vereinzeln, um das Erlebte sortieren zu können. Vielleicht sind wir ja alle ein klein wenig so?