Da war dieser junge Mann im Edeka-Markt, der ein kleines Mädchen in einem Schneeanzug trug, vielleicht zweieinhalb Jahre alt, ein niedliches Gesicht mit Grübchen um den Mund und großen staunenden Augen, unter seiner roten Bommelmütze kringelten blonde Löckchen hervor. Der Mann hielt das Mädchen wie Madonna das Jesuskind.
Es saß auf seinem Arm, auf seinem rechten Unterarm, gerade so, dass ihre Augenpaare auf gleicher Höhe waren. Ihre Nasenspitzen wandten sich einander zu, als wollten sie sich stupsen; es hätte ihn so am Bart zupfen können, doch er hatte gar keinen. Der Mann redete mit dem Mädchen, mit einer Zärtlichkeit und melodischen Betonung, über die wir nur verfügen, wenn unsere Worte sich an kleine Kinder richten. Die Welt soll für sie schön sein, nichts soll es geben, wovor sie sich fürchten. Es klang wie leises Singen oder als würde er ihm ein Märchen erzählen. Er sprach mit ihm wie ein Puppenspieler spricht, vergnügt und schelmisch, trotzdem ganz auf seiner Seite. Ich belauschte sie nicht, aber ich hörte: Er war mit Erklären und Benennen beschäftigt. Das Große sind Orangen. Die Kleinen? Das sind Clementinen. Nudeln? Aber ja, kann ich machen, lass sie uns suchen…. Vielleicht flüsterte das Mädchen ihm Fragen und Wünsche ins Ohr, oder es schwieg, das kann ich nicht sagen, ich vernahm von ihm keinen einzigen Pieps.
Zuerst sah ich sie im Gemüsebereich, ging an ihnen vorbei im Teigwaren-Gang, entdeckte sie vor einer Kühltruhe stehend, bei der abgepackten Wurst. Etwas war anders mit ihnen als mit der anderen Kundschaft, die mechanisch und freudlos ihren Einkauf, als eine Mühsal von vielen, hinter sich brachte. Wo sie auch waren, fielen sie mir ins Auge. Die Art und Weise, wie der Mann seine Stimme einsetzte und das Mädchen ihm lauschte, erzeugte um sie einen eigenen Raum, einen heimeligen Raum, wie mit Samt ausgeschlagen, beleuchtet von einem sanften Scheinwerferspot. Wie auf einer Puppentheaterbühne in einer gläsernen Kugel schwebten die beiden durch die stummen Gänge zwischen den randvoll gefüllten Warenregalen.
Der junge Mann hatte mein Interesse an ihnen bemerkt, er lächelte mir en passant glimmende Funken äußerst freigebig zu. Wie ein König, der Münzen wirft. Wie der Himmel im August seine Sternschnuppen sprüht.
Sein Arm wurde nicht müde, das Mädchen zu halten, von dem ich unzweifelhaft annahm, dass es seine Tochter war. So vertrauensvoll, wie es ihm zugewandt war, sich sitzend aufrecht hielt, den Rücken gerade, so nah wie ihre Nasen sich kamen. Es sah nur auf ihn oder folgte mit den Augen seiner linken freien Hand, die sich nahm, was sie brauchten, und eine Dose Tomaten, eine Packung Penne und ein Netz mit Clementinen an seine Brust gedrückt hielt, als die beiden hinter mir die Kasse erreichten.
Dem Kassierer gefielen die beiden offenbar auch. Er plauderte mit ihnen während des Scannens, das sieht hier nach was ziemlich Leckerem aus, kann der Papa denn kochen? Der junge Vater wandte sich an das Mädchen, na, was sagst du, kann ich kochen? Es nickte scheu, und er lachte hocherfreut. Tiefe Falten gruben sich in seine Wangen, er war älter, als ich angenommen hatte, doch das Glitzern in seinen Augen retuschierte seine Falten im nächsten Augenblick weg.
Es war früh am Abend an einem Januartag, und der Mann, im Gegensatz zu seinem Kind, gegen die Minusgrade nicht gut gewappnet. Er trug eine dünne Fleecejacke, eine von jenen, die man aus Plastik herstellt und aus Wanderjacken herausknöpfen kann, flache Sneaker aus Stoff, seine verwaschene Jeans hatte er an den Knöcheln in die Socken gestopft. Seine Statur war jungenhaft hager, er hatte nichts auf den Rippen, was er gegen die Kälte aufbieten konnte.
Ich folgte ihnen in die Einkaufspassage. Hier hing noch die Weihnachtsdekoration, Sterne um einen Schlitten, viele kleine Lichter, deren künstliches Funkeln ich jedoch ignorierte. Meine Augen hefteten sich an den Vater mit seinem Kind. Er redete weiter, – er hatte gar nie aufgehört -, na, hast du schon Hunger… nein, das Christkind kommt nicht schon wieder, mein Engel, ja, das ist schade…. Sie bogen ab Richtung Ausgang, schlüpften vor mir durch die sich schließende Glastür. Ich stieß sie wieder auf und trat auf den Vorplatz. Draußen war es dunkel, eisige Kälte schlug mir entgegen. Der Mann stand mit dem Mädchen ein paar Schritte entfernt auf der Fußgängerbrücke, es zeigte zu einer S-Bahn, die unter ihnen durchfuhr. Der Vater schien nicht zu frieren in der klirrendkalten Welt, mit dem Mädchen auf dem Arm. Er ging weiter ohne Eile, schlendernd tauchten sie unter im Fußgängerstrom.
Auf dem Nachhauseweg hüllte mein gesteppter Mantel mich ein, und ich trug ihr Glück in mir.