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Gestern auf dem Zuckerfest

Ich komme auf den Hof der Gemeinschaftsunterkunft um Tonaufnahmen zu machen. Atmos vom Zuckerfest. Mit dem kleinen Aufnahmegerät in der Hand sehe ich aus wie eine Journalistin. Das gefällt den Leuten. Man schaut mich erwartungsvoll an. Vorfreudig, neugierig. Kommt auf mich zu, fängt an zu erzählen. Zwei junge kurdische Frauen aus Syrien und ein junger Landsmann von ihnen haben einen Stand aufgebaut, darauf Infomaterial, Farbstifte, Tiermasken zum Ausmalen. Sie stellen sich als „Family Guides“ vor, sprechen ein überraschend gutes Deutsch und sind als mobiles Team in Gemeinschafts- und Notunterkünften unterwegs. Sie helfen jenen, die sich noch nicht so gut integriert haben wie sie. Sie arbeiten als Berater in Sachen Gesundheit, Bildung und Erziehung, freiwillig, vielleicht ohne Bezahlung. Sie sind stolz darauf. Sie malen den Kindern der Storkower Straße Tiermasken und machen mit ihnen Gewinnspiele.

Ich treffe die neue Ehrenamtskoordinatorin vom Rupert Neudeck Haus, die mir bestätigt, dass es immer weniger ehrenamtliche Helfer:innen gibt. Dafür aber fließt mehr Geld, mehr Stellen wurden geschaffen. Zwei neue Sozialarbeiterinnen stellen sich vor. Auch der Heimleiter nimmt sich kurz Zeit und schwärmt von seinem Team, das er hier habe und das er in einer zweiten Unterkunft, die er inzwischen ebenfalls leitet, erst noch aufbauen müsse.

Dann stehen eine junge Deutsche und ein junger Syrer vor mir. Sie kommen aus einer gerade eröffneten, neu gebauten Gemeinschaftsunterkunft in Marzahn und verteilen einen Flyer, auf dem zum Tag der offenen Tür eingeladen wird. Sie arbeiten dort als Erzieher. Der Syrer, seit Ende 2015 in Deutschland, hat inzwischen C1 Niveau. In Syrien hat eine pädagogische Ausbildung abgeschlossen, in Syrien war er Lehrer, deshalb darf er bei uns gleich als Erzieher anfangen. Deutsch sei dafür das Wichtigste gewesen, sagt er. Wenn auch viel Arbeit.

Eine junge Frau aus Aleppo wird mir vorgestellt. Sie erzählt mir, dass sie in Aleppo in einer Art Bildungszentrum Computer- und Sprachkurse koordiniert habe und dass man sie in der neuen Unterkunft in Marzahn mit dem Aufbau eines Internetcafes für Frauen beauftragt habe, nachdem sie eine halbjährige Schulung zur Integrationsberaterin besucht hat. Sie möchte Frauen Workshops anbieten, in denen sie ihre Ziele formulieren lernen und Hilfestellungen bekommen, um ihre Ziele zu erreichen. Sie spricht von „women’s emancipation“ und wie sie so vor mir steht, eine zierliche Nofretete, frage ich sie, ob sie alleine hier sei. Ja, sagt sie. Es gebe eine Tante in Leibzig und einen Verwandten in Düsseldorf. Ob sie mit denen geflohen sei, frage ich. Nein, sagt sie. Sie sei alleine geflohen. Und mit Mut habe das rein gar nichts zu tun. Sie sagt: „Wenn du dich für die Flucht entscheidest, schließt du das Sterben mit ein.“ Du fliehst vor dem Krieg, dem allgegenwärtigen Tod und mit dem Leben davon zu kommen, sei dann nur noch Fügung.

Ein gut gelaunter Landsmann von ihr gesellt sich dazu. Sie kennen sich von der Schulung und sprechen miteinander auf Deutsch, damit ich sie verstehe. Auch er könne sich jetzt Integrationsberater nennen, lacht er. Er hat sich seinen Beratungsbereich gleich selbst geschaffen. Nachdem ihm aufgefallen war, wie schwer sich seine Landsleute mit deutschen Kaufverträgen und rechtlichen Dingen tun, kam er auf die Idee sich darauf zu spezialisieren. Nun ist er Verbraucherschutzberater, wofür er eine zusätzliche Schulung in Vertragsrecht besucht hat. Auch er ist vorher Lehrer in Syrien gewesen. Für Hocharabisch. Auch er spricht schon ein sehr gutes Deutsch.

Lediglich ein Viertel aller, die sie in den Integrationskursen kennen gelernt habe, meinte vor kurzem eine befreundete Deutschlehrerin, wären talentiert und motiviert genug und würde es schaffen, sich ein würdevolles Leben in Deutschland aufzubauen. Zu diesem Viertel gehören diese jungen Menschen vom Zuckerfest in der Storkower Straße.

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