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Frau Lolo und der Porridge

Wenn Mona und ich zusammen joggen oder walken, geht es nicht nur um Fitness. Wir zerlegen den Alltag und werfen im Laufen seine Last von uns ab. Was uns zu viel ist, schmeißen wir in die Büsche. Wir erzählen uns von der Arbeit, von unseren Inseln privaten Glücks und der Weltpolitik, dem Balancieren mit allem. Am häufigsten jedoch reden wir über unsere Kinder, die wir gut begleiten wollen. Monas Ältester ist 16, so alt wie unsere Raupe, ihr Jüngster ein Teenie. Sie prüfen uns und fordern uns täglich heraus. Sie konfrontieren uns mit uns selbst. Darüber tauschen wir uns aus, während wir über Brachflächen laufen, über den Schotter einer alten Bahntrasse, an Schrebergärten entlang. Alles strömt aus uns heraus, verhallt in der Landschaft, die wir durchqueren und die gar keine ist.

Heute erzählte mir Mona von Antoine, ihrem Jüngsten, von ihrem Morgentheater zwei Tage zuvor. Es amüsierte mich sehr, kam mir bekannt vor. Ähnliche Szenen spielten sich auch bei uns ab.

 Es geschah in etwa so:

Antoines Wecker war auf 6.30 Uhr gestellt, weil er pünktlich zur ersten Stunde in der Schule sein wollte. Neuerdings hatte er dort eine Lieblingslehrerin, die er Frau Lolo nannte. Er hatte den Ehrgeiz, sie nicht zu enttäuschen.

Exakt um 6.30 Uhr begann auf Antoines Smartphone eine Ente zu quaken, womit er in der Wohnung seine Mutter und ihren Freund, nur sich selbst nicht aus dem Schlaf riss. Er drückte auf Schlummern und schlief zehn Minuten weiter, bis erneut das Quaken einsetzte. Dies geschah so dreimal.

Nach dem ersten Quaken küsste Mona ihren Freund neben sich und schwang sich aus dem Bett. Sie ging über den Flur, sang ein Guten Morgen, mon chéri, an Antoines Tür, bevor sie zur Toilette tapste. Sie reckte und streckte sich vor dem Spiegel, zufrieden mit sich. Auch ihr Freund war aufgestanden, sie überließ ihm das Bad, er duschte als erster. In der Küche trank Mona lauwarmes Wasser, was sie neuerdings tat, um ihren Darm anzuregen.

Die Ente quakte das zweite Mal, wieder nur kurz. Er träumt noch, dachte Mona, ich werde ihm helfen. Sie klopfte sanft an seine Tür. Antoine, guten Morgen. Mon chéri, du musst aufstehen! Sie öffnete die Tür einen Spalt breit. Kuku, hörst du mich? Antoine gab es einen jammervollen Ja-Laut von sich. Okay, wunderbar, sagte sie mehr so zu sich, und ging zurück in die Küche, um Orangen auszupressen und Kaffee aufzusetzen.

Nach dem dritten Quak Quak nahm Mona den Kaffeekocher vom Herd, und ihre Finger klopften deutlich härter an die Tür ihres Sohnes. Bist du wach, mon chéri, sagte sie, bevor sie einen Fuß in sein Teenie-Reich setzte. Antoines Zimmer war das größte in ihrer Wohnung, und sein Hochbett war feudal, in dem er sich drehen und hinlegen konnte, in welche Richtung auch immer. Mona sah zu ihm hoch und sprach zu seinen Füßen, die aus der Daunendecke ragten. Er hatte sich in die Decke gewickelt und sie über den Kopf gezogen. Antoine, es ist sieben, sagte sie behutsam. Magst du nicht aufstehen? Er brummte eine Antwort, im Tonfall ein Ja mit einem langgezogenen Haaaa. Denk an Frau Lolo, fügte Mona noch hinzu. Das könnte ziehen, dachte sie. Ein hohes Jaaaaa voll gutem Willen kam aus der Deckenwulst. Unverzagt ging Mona in die Küche zurück, schob die Kaffeekanne erneut auf den Herd und schäumte für Antoines Kakao seine von ihm bevorzugte Haferdrink-Kuhmilch-Vanille-Mischung auf. Wieder quakte die Ente, wieder würgte Antoine den Quakalarm ab. Mona und ihr Freund sahen sich, die Augenbrauen hochgezogen, mit einem dünnen Lächeln an. In stiller Eintracht schlürfte sie ihren O-Saft und er den Kaffee. Mona seufzte, nahm den Milchtopf vom Herd und ging wieder zu Antoine. Sie kam sich schon ein wenig wie eine Kammerzofe vor. Sie kitzelte ihren Prinzen an seinen zarten Prinzenfüßen, die er blitzschnell zurückzog. Diesmal klang sein Brummen klagend. Oh ja, dachte sie, er kämpft gegen seine Träume, der Arme. Sie brauchte Geduld so wie fast an jedem Morgen. Eine Engelsgeduld. Die Geduld, die du brauchst, um einen Esel zu führen, ein großes Verständnis für die Schwächen des Jungen, und die Höflichkeit einer Hofdienerin, die immer freundlich bleiben würde, ein hochsensibles Einfühlungsvermögen…  Das alles bitte jetzt.  Sie stand unter ihrem Prinzen und schaute zu ihm auf. Was magst du zum Frühstück, fragte Mona. Soll ich dir Porridge machen? Porridge mochte er sehr, vor allem mit frischer Sahne, einem Löffel Mandelmus und gequetschter Banane. Mon chéri, magst du Porridge, fragte sie ein zweites Mal. Bitte gib mir eine Antwort. Ein Ja oder Nein. Antoines Kopf zeigte sich, und sein schönes, noch müdes Gesicht. Porridge, bitte, sagte er, kraftlos, aber dankbar. Okay, sagte sie, und im Hinausgehen, und du stehst jetzt bitte auf. In der Küche gab sich Mona größte Mühe, seinen Porridge, wie er ihn mochte, nicht zu weich, nicht zu fest, noch mit Biss und doch cremig zuzubereiten.

Ihr Freund musste los, er war beim fünften Gequake längst aus dem Haus. Jetzt wurde Mona laut. Sie stürzte in Antoines Zimmer und rief zu ihm hinauf: Mon chéri, steh jetzt auf! Steh endlich auf! Das Frühstück ist fertig. Und wenn du jetzt nicht sofort aufstehst, schaffst du es nicht mehr, deinen Porridge zu essen!! Unnötig eilig stapfte sie in die Küche zurück, kratzte den Brei in Antoines Lieblingsschale, die er selbst bemalt hatte, und stellte den Kakao rechts davor, der ihr gut gelungen war, eine Krone aus Milchschaum wölbte sich aus der Tasse. Unruhig huschten ihre Augen umher, sie sah auf die Küchenuhr, auf Antoines Zimmertür. Dann nahm sie ihr Darm mit einem Stechen in Beschlag. Der Wecker quakte das sechste Mal, was Mona überhörte. Sie hockte auf der Toilette.

Als sie wieder auf die Uhr sah, war es halb acht. Sie erschrak selbst darüber. Um Viertel vor acht begann der Schulunterricht. Antoine brauchte zu Fuß in die Schule fünf Minuten. Doch selbst wenn er jetzt aufstand, in dieser Sekunde, würde er es nicht mehr schaffen, pünktlich zu kommen. Antoine, steh auf, schimpfte sie verärgert, als sie in sein Zimmer stürzte. Mona stieg auf die Leiter, die zum Prinzen-Hochbett führte, schnappte beidhändig nach der Decke und zerrte an ihr mit harschem Ruck. Der Prinz kam zum Vorschein, mit seinen grazilen Gliedern, verwuscheltes Haar. Er lag auf der Seite und schreckte hoch, die Augen weit aufgerissen. Bis eben war er in einer anderen Welt gewesen, die vielleicht schöner war. Aber das war jetzt egal. Steh auf und mach dich fertig! Das war jetzt im Befehlston. Es ist schon halb acht!

Was, halb acht!?, rief Antoine. Er war hellauf entsetzt und rappelte sich auf. Warum hast du mich nicht geweckt!? Frau Lolo wird schimpfen! Warum weckst du mich nicht?! Der Junge schaute sie enttäuscht und schmollend an. Mach Platz, ich will runter. Er drängte sich an ihr auf der Leiter vorbei, stampfte schnaubend aus dem Zimmer, Mona lief ihm hinterher. Ich füll dir deinen Porridge in eine Dose, schlug sie vor, um einen versöhnlichen Tonfall bemüht. Und den Kakao, den kann ich dir in meinen neuen To-Go-Becher füllen. So schaffst du es noch. Ich will den Porridge nicht, schimpfte ihr Prinz. Er pinkelte breitbeinig stehend ins Klo. Und deinen Becher will ich auch nicht! Er stampfte an ihr vorbei in die Küche und riss die Schublade auf, in der sich die Süßigkeiten befanden. Ich nehm ein paar Kekse. Mona folgte ihm. Nein, die Kekse gibt es nicht. Wie ruhmlos sie keifte, wie wütend sie war. Und dann fing auch schon wieder der Quakalarm an. Die Ente quakte und quakte, oder war es eine ganze Entenfamilie, die da immer lauter wurde? Der Alarm glich sich der Lautstärke an, mit der Antoine und Mona sich gemeinsam hochschraubten. Ich will, dass du was Gesundes isst, meckerte sie, und ich habe den Porridge nicht umsonst für dich gekocht! Ich mach mir solche Mühe!!! Quak Quak Quak… Ich will aber Kekse, krakeelte Antoine. Nein, die kriegst du aber nicht, schnauzte sie und entriss ihm die Packung. Quak Quak Quak Quak Quak… Du willst, dass ich verhungere, brüllte er, du lässt mich verhungern! So eine schlechte Mutter bist du! Er kickte mit dem Fuß die Schublade zu, rannte an ihr vorbei zurück in sein Zimmer. Die Tür knallte zu, das Quaken erlosch. Mona holte tief Luft. Sie hatte wieder versagt, die Nerven verloren. Sie fand sich zum Kotzen, wenn sie so war.

Es dauerte fünf Minuten, dann kam Antoine in Jeans und Pulli aus seinem Zimmer und bog ab Richtung Bad, aus dem er, wie es schien, diesmal nicht mehr herauskommen wollte. Die Minuten zerrannen. Mona hatte ihm den Porridge abgefüllt und die halbe Rolle Kekse in seinen Ranzen geschoben. Sie hielt den Ranzen bereit und den Becher mit Kakao. So stand sie im Flur, nun in ihrer Rolle als Page des Prinzen. Sie würde nichts mehr zu ihm sagen. Der Kurs, den sie anbot, Partnerschaft stärken, würde mittags beginnen, also hatte sie Zeit. Als er schließlich durch die Tür kam, war ihr Lächeln aufgefrischt. Hier, mon chéri, sagte sie, dein Ranzen und dein Kakao, aber er winkte ab. Er musste Schuhe anziehen, Jacke und Mütze. Sie wartete artig, überreichte ihm den Ranzen und akzeptierte es wortlos, dass er den Becher nicht annahm. Sie lächelte. Mon chéri, du schaffst es noch. Er aber sagte verbissen: Mami, so nicht. Du hast mich angeschrien. Entschuldige dich!

Monas Erzählung war nicht so humorvoll. Zugegeben, ich habe sie etwas zugespitzt. Mona atmete ihren Frust aus, während ich schon lachen konnte. Ich spornte sie an, du brauchst einen Sprint, und wir rannten ein Stück, verausgabten uns auf einem laubweichen Pfad. Inzwischen waren wir in einem Wäldchen, in der Schönholzer Heide.

Und, fragte ich nach dem Sprint, hast du dich danach entschuldigt?

Ja, sagte Mona erleichtert. Wir haben noch am Abend darüber gesprochen, lange, ausführlich. Wie du weißt, diskutiert er fürs Leben gern, er ist echt ne harte Nuss. Schon huschte ihr ein Lächeln übers Gesicht. Ich habe ihm gesagt, dass es uns doch allen schwerfällt, am Morgen aufzustehen, und wir es trotzdem schaffen müssen. Ich konnte ihm auch erklären, was mich an seinem Verhalten wütend gemacht hat. Das hat er dann eingesehen. Ich glaub, er hat es verstanden, und wir haben uns umarmt. Wir haben auch überlegt, wie er es besser hinkriegen könnte.

Vielleicht legt er sein Smartphone einfach weit weg vom Bett, warf ich ein.

Ja genau, sagte sie, so haben wir’s auch gemacht. Sie sah mich kurz strahlend an. Und gestern lief es reibungslos. Er kam pünktlich zur Schule.

Und heute, fragte ich. Mona war zu spät, mit Gram im Gesicht, an unseren Treffpunkt gekommen.

Ach heute, sagte sie. Er hat es wieder nicht geschafft.

Wir seufzten beide in die Büsche. Es war noch lang nicht ausgestanden, die Erziehung unserer Kids, die wir mehr als Begleitung und Coaching ansahen. Besser als unsere Eltern war unser Anspruch. Wir müssen in Beziehung bleiben, Monas Überzeugung, auf Augenhöhe und wertschätzend sein. Ich fand das richtig und gut, auch wenn ich mir nicht sicher war, was wir damit erzielten.

Wir walkten mit großen Schritten an einem Friedhof vorbei.

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