Icon für Prosa, Gestaltung © Maike Krasue

Franz

– Erzählung

Aus dem geplanten Erzählband „UND ICH WERDE GLÜCKLICH SEIN“

Die Geschichte einer Jugendliebe, die Anfang der 1980er Jahre an bigotten Anstandsregeln und patriarchalen Strukturen zerbricht.

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Ihren ersten Freund hielt Claudia geheim. Hätte ihr Vater davon erfahren, er hätte sie nicht mehr weggehen lassen. Auch ihrer Mutter sagte sie nichts, denn das wäre sicher nicht hilfreich gewesen. Ihr half aber Ella, die unten am Bach in Sichtweite wohnte. Ella war älter, etwa ein Jahr, besonnen und mutig, und wenn Claudia sich mit Franz treffen wollte, dann gab sie vor, sie ginge zu ihr. Sie ging auch zu ihr, aber nur kurz, um eine Version für daheim abzusprechen. Sie schminkte sich bei Ella im Bad und schlich dann unten in deren Haus durch den Keller hinaus. In der Deckung der Siedlung lief sie den Bachlauf entlang, weiter zur einzigen Telefonzelle, zwischen Volksbank und Schulhaus in ihrem Dorf. Von dort rief sie Franz an.

Claudia war fünfzehn und hatte mit Schlägen zu rechnen, mit Ausgehverbot und weiteren Strafen, hätte ihr Vater die Sache bemerkt. Er züchtigte auch die jüngeren Geschwister, Inge und Roman, zog seinen Jungen am Ohr hinter sich her und ohrfeigte Inge, um sie zu erziehen.

Claudia war die Älteste, sie schlug er am meisten. Er gab immer vor, auf ihren Anstand zu achten. Er verprügelte sie. Kam sie vom Ausgehen verspätet nach Hause, Minuten verspätet, als es erlaubt war, fand sie die Tür zur Wohnung verriegelt, und klingelte sie, empfing er sie mit seiner Hand.

Er fragte, wo warst du, wo bist du so lang gewesen?, und was sie auch sagte, er schlug einfach zu. Er brauste auf, verlor die Kontrolle, aus nichtigen Gründen. Da reichte schon eine indische Hose, die er zu auffallend fand, oder ihr Haarschnitt im Stil von Jean Seberg. Schon flog seine Rechte auf sie herab, wutentbrannt, wahllos, auf ihr Gesicht, auf ihre Ohren, auf ihren Kopf, auf ihre Hände, mit denen sie sich zu schützen versuchte.

Die Telefonzelle war wie ein Schaufenster mitten im Dorf. Ohne den Blick allzu lang von der Straße zu lassen, wählte Claudia Franz‘ Nummer. Es waren nur drei Zahlen, die sieben, die sechs und dann die neun, jedoch sie mit dieser schwarzen, träge sich drehenden Scheibe zu wählen, dauerte quälend lang. Sie stand geduckt, mit dem Rücken zur Straße, in diesem hell erleuchteten Kasten, wie an einem Pranger, und sie lauschte dem Tuten, das ihr zitternd ans Ohr drang. Fuhr ein Auto vorbei, schrak sie zusammen. Sie fühlte sich entdeckt und erkannt, ihr pochte das Herz. Wenn Franz endlich ran ging, sie seine Stimme im Hörer vernahm, sagte sie ihm, dass sie jetzt da sei, und er sagte nur, alles klar, bin gleich da. (…)

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