Ich gehe durch die Wiesen und denke Glockenblumen, Schafgarben, Hornklee, Sauerampfer, um der Frage auszuweichen, wann ich das letzte Mal zu Besuch in meinem Heimatdorf im Schwarzwald sein werde. Ich denke Arnika, Flockenblume und gemeiner Gundermann, nur um darüber nicht zu grübeln, wie es wohl einmal sein wird, wenn ich das letzte Mal das Haus meiner Eltern betrete. Ich will das Ende nicht denken, und das kostet viel Mühe, denn es lauert mir auf. Jeden Tag an jeder Ecke, es packt mich und schüttelt mich, schlägt mir die Faust ins Gesicht.
Im Dorf meiner Kindheit winkt der Tod überall, grinst mich an, lächelt schelmisch. Er kommt nicht als Verheerung, nicht durch Flut oder Feuer. Einen Menschen nach dem andern, viele in hohem Alter, holt der Tod aus seinem Haus. Der Tod lässt sich Zeit. Gemächlich, dennoch stetig, übergibt er einen Leichnam dem Friedhof, einen frisch eingesargten, oder die Asche, die von dem Menschen übrig ist. Die Reihen füllen sich mit Gräbern, mit neuen kleinen Gärten und winzigen Engeln, mit aufrechten Steinen. Bald wird der gesamte Kirchenchor, in dem Mamutschka gesungen hat, um die Kirche herum in der braunen Erde liegen. Auch die Gründungsmitglieder der ersten Narrenzunft im Dorf sind schon oder werden ein Teil vom Gottesacker, die Trachtentanzgruppe, acht Paare an der Zahl, die ersten Alphornbläser ebenso, Fußballspieler meiner Jugend, der alte Metzger und seine Frau, Mamutschkas alte Chefin, Frauen aus dem Frauenbund. Ein großer Teil des Personals meiner Kindheit und des Umfelds meiner Eltern befindet sich inzwischen unter der Erde. Um die Kirche versammelt ruhen die Toten, mit gefalteten Händen.
Weiter, immer weiter streife ich durch die Wiesen. Glockenblume, denke ich, Schafgarbe, Hornklee sage ich vor mich hin, wilder Thymian am Wiesensaum, Margeriten und Malven denke ich. Dann, ist das jetzt Günsel oder doch Gundermann? Ich will sie endlich benennen können, die Blumen, die hier blühen. Am Straßenrand wächst Giersch mit weißen Blütendolden, oder ist es wilde Möhre? Wird höchste Zeit, das zu lernen. Ich sollte ganz genau hinsehen. Das Gras ist schon hoch, seine Ähren sind reif.