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Engel und Atome

Letztens am Telefon Mamutschkas Vorwurf, man habe doch alles versucht, warum ich denn nicht glaube? Sie erwähnte einen Vortrag über Engel, den sie sich im Pfarrhaus angehört hatte. „Ach, schön“, sagte ich, „erzähl mal, wie war’s?“ Sie gab es vage wieder. Es sei um Engel gegangen, und dass es die schon immer gäbe. Das überraschte mich nicht. Ein katholischer Pfarrer wird nichts anderes behaupten. „Dann hat’s dir gefallen?, fragte ich. Vielleicht klang ich zu betulich oder zu nüchtern. Mamutschka jedenfalls reagierte pikiert. „Du glaubsch wohl au nit an Engel.“ Sie war wieder mal enttäuscht. Dass ich nicht an Engel glaube, auch nicht an ein Jenseits, in dem wir alle weiterleben, dass ich deshalb auch nicht in ihrem Jenseits auftauchen werde, gelingt ihr nicht zu akzeptieren. Meine Zweifel daran sind für Mamutschka jedes Mal ein Affront. Eine Gotteslästerung, ein Verhalten, was nicht sein darf.

Das Gespräch verlief dann so, wie solche Gespräche schon oft verlaufen waren. Ich bin Pantheistin, für mich ist Gott die Natur, Gott ist die Schöpfung und das Universum. Das Prinzip Unendlichkeit. „Nichts geht verloren“, sagte ich. „Alles bleibt in der Atmosphäre, die unsere Erde umhüllt. Wenn wir sterben, lösen wir uns auf, wir zerteilen uns wieder in die Atome, aus denen alles besteht. Aus mir kann dann wieder etwas anderes werden. Ein Vogel, ein Grashalm oder ein Stein.“ Wenn ich davon spreche, bin ich meistens begeistert. „Das sei doch kein Trost“, protestierte Mamutschka. Das könne doch nicht sein. Es hätte doch alles sonst überhaupt keinen Sinn, das Leiden und Sich Schinden, wenn es nicht etwas gäbe, was nach dem Tod kommen würde. Das wiederholte sie mehrfach.

Mamutschka braucht das Himmelsreich, mit den Engeln und den Seelen, die darin ewig leben, um ihrem irdischen Leben einen Sinn zu verleihen. Sie braucht diesen Trost, und ich will ihn ihr nicht nehmen. Ich will aber auch nicht, dass meine Art Unendlichkeit zu denken, sie jedes Mal kränkt. Oder beunruhigt. Am liebsten wäre mir sogar, wenn sich ihr Glauben an ein Jenseits, in dem wir uns wiederfinden, mit meiner Vorstellung decken würde. Wenn ich das beweisen könnte, wäre Mamutschka womöglich besänftigt.

Ich suchte vorerst nach einer Brücke, einem guten Kompromiss. So nach dem Motto, jedem das seine. Ich berichtete ihr über die Nahtoderfahrungen von Menschen, die bewusstlos gewesen waren, auf der Schwelle zwischen Leben und Tod gestanden hatten. Sie waren, sagte ich, aus ihren Körpern getreten und durch einen gleißend hellen Tunnel nach oben geflogen. Dort haben sie vorgefunden, was ihrem Glauben entsprach. Die an Jesus glaubten, haben Jesus angetroffen. Die an Maria im Himmel glaubten, trafen die Jungfrau. Buddhisten, mit etwas Glück, erreichten das Nirwana. Mamutschka unterbrach mich, ihr werde schon ganz dusselig im Kopf. „Lassen wir’s für heute“, empfahl sie. Es strengte sie zu sehr an.

Ich bedauerte, dass es die Brücke für uns, zwischen dem Jenseits der Atome und dem Jenseits der Engel, auch heute nicht gab. Aber wir würden nach ihr suchen. Ganz sicher, bis zuletzt.

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