Es ist ein Tag im November. Aus einem tiefblauen Himmel strömt das Herbstlicht der Sonne durch das Fenster aufs Bügelbrett. Ich bügle eine Bluse. Mamutschka schleicht sich ins Zimmer, sie scheint etwas zu suchen, meine Nähe vielleicht? Wenn ich bei ihr zu Besuch bin, ein paar Tage bei ihr wohne, kommt das hin und wieder vor. Sie stemmt sich hoch von ihrem Sessel und schaut nach, wo ich bin, schaut mir dann zu, wie ich koche oder in ihrem Garten ein paar neue Stauden pflanze. Und ich freue mich immer, wenn ihr Wille sich durchsetzt gegen die Schwere ihres alten, erschöpften Körpers.
Sie bleibt neben mir vor dem Bügelbrett stehen und greift nach etwas im Bücherregal. Ich höre ein leises Klackern, streiche meine Bluse glatt, bügle einen Ärmel, es klackert und klickert, der Wasserdampf zischt. Schau mal, was ich hier hab, sagt Mamutschka unvermittelt. Ich werfe einen Blick auf die kleine Schmuckdose, die sie geöffnet vor mich hinhält, und höre sofort auf zu bügeln. Auf einem weißen Samttüchlein liegt ein schlichter Ring aus Gold, mit einem länglichen grünen Stein. Es ist ein Ring, der mir vertraut ist, ein Ring aus meinen Kindheitstagen. Den hast du früher getragen, sage ich. Ja, immer, sagt sie. Der hat alles überstanden, die jahrelange Schinderei. Den hab ich getragen wie meinen Ehering. Wir schauen beide den Ring an, und ich habe eine Ahnung, eine helle Vorahnung, weiche ihr aber aus. Was für ein Stein ist das denn, ist das Jade, frage ich. Mamutschka weiß es nicht, sie hat es vergessen. Welche Steine sind grün, fragen wir uns. Vielleicht ist es ein Smaragd oder ein Türkis, ein grüner Achat oder ein Chryso-Dingsda… Wir rätseln herum, als ob es wichtig für uns wäre, den Stein benennen zu können, als ob sein Geldwert von Belang sei. Der Stein ist matt und mittelgrün, er schluckt das Sonnenlicht, das auf ihn fällt. Kein Glitzern, kein Funkeln, aber schön ist er doch. Einmalig schön.
Ich schenk ihn dir, sagt Mamutschka. Endlich rückt sie damit heraus, was ich vorausgeahnt habe. Wärme durchströmt mich. Mein Körper wird weich, als würde er schmelzen. Wirklich, frage ich. Ich sehe meiner Mutter tief in die Augen, die mich dringlich anschauen. Damit du mich nicht vergisst, fügt sie hinzu. Ich zerfließe vor Rührung. Eben habe ich die Falten aus meiner Bluse gebügelt, eine Arbeit verrichtet, deren Sinnhaftigkeit nur ein buddhistischer Mönch oder Sisyphos versteht, und nun geschieht etwas vom Höchsten, was es überhaupt geben kann zwischen zwei Menschen. Es fühlt sich ähnlich an wie damals, als mein Mann etwas verlegen vor mir auf dem Boden kniete, um mir nach unserer Trauung, zwei Wochen verspätet, den Ehering auf den Finger zu schieben, mit dem er mir sagte, ich glaube an unsere Liebe und dass wir zwei zusammenbleiben, ich werde immer zu dir halten. Auch Mamutschka will mir sagen, dass ich ihr sehr wichtig bin. Sie gibt mir zu verstehen, dass sie mit mir verbunden ist und bleiben will, auch wenn sie einmal nicht mehr da ist. Oh ja, das will ich auch, denke ich, ich will mit dir verbunden sein, so lange ich lebe.
Ich nehme ihren Ring, er ist leichter als ich dachte, und sehr gut erhalten, kein Kratzer, kein Bruch. Er gefällt mir immer mehr, und ich schiebe ihn ohne Mühe, als wäre er dort zuhause, auf meinen linken Ringfinger. Er passt Mamutschka schon lange nicht mehr, ihre Finger sind gekrümmt, die Gelenke verdickt, mir passt er wie angegossen. Das Gold und Grün harmoniert mit dem Farbton meiner leicht gebräunten Hand. Ich strecke sie aus, und wir betrachten den Ring. Sieht schön aus, sagen wir mit einer Stimme, und ich gehe in die Knie, um Mamutschka zu umarmen, ihren kleinen geschrumpften Körper. Ich umarme sie behutsam, und sie drückt sich fest an mich, mit aller Kraft, die sie noch aufbringen kann. Dann lassen wir uns wieder los. Schauen uns an. Ich bedanke mich mehrmals, zeige ihr meine Freude. Ich werde ihn in Ehren halten, verspreche ich ihr. Mamutschka lächelt mich an, zustimmend nickt sie, und ihre feuchten Augen warten. Vielleicht wartet sie auf noch größere Worte, die jetzt angebracht wären. Auf die bedeutendsten und schönsten, die wir beide in uns tragen.
Ich sollte ihr endlich sagen, dass ich sie liebe. Aber das ist nicht üblich in unserer Familie. Niemand sagt, ich liebe dich. Das hat sie mir nicht beigebracht, das haben wir nicht voneinander gelernt. So stehen wir voreinander und nicken uns schweigend und verständnisvoll zu. Der Ring spricht es aus, was wir uns nicht sagen können.