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Der Blechnapf

Auf dem alten Boddehof war ich häufig als Kind, da unsere Mutter arbeiten ging. In der großen Bauernküche saß ich auf der Eckbank neben Opa am Tisch. Oma war am Kochherd zugange, schürte das Feuer mit gerötetem Gesicht, wärmte die Milch und goss uns heißes Wasser auf das Carokaffeepulver. Opas Tasse war ein Blechnapf. Eine runde, etwas zerbeulte Schale mit zwei kleinen Griffen, die wie Ohrenläppchen aussahen. Opa beugte sich schweigend darüber und tunkte sein Brot oder den Einback, ein fingerförmiges Hefegebäck, in den dampfenden Milchkaffee. Brocken fielen hinein, Opa schlürfte und aß, und ich kann mich nicht erinnern, dass es zwischen uns jemals ein Gespräch gegeben hätte. Es wurden Worte gewechselt, selten auch Blicke. Opa sprach auch wenig mit seiner Frau, die das Essen auftrug, die sich schließlich zu uns setzte, das Geschirr wieder abtrug. Opa brummte vor sich hin, unwillig nuschelnd, mit freudlosem Tonfall. Oft verstand ich ihn nicht. Seine Stimme war bedrohlich, auch wenn er nicht herumschrie.

Ich hatte Angst vor meinem Opa, weil er nie etwas erzählte, nichts von sich preisgab, sich in keiner Weise um mich als Kind bemühte. Nie nahm er mich auf seinen Arm oder spielte mit mir. Albernheiten schienen ihm fremd. Er tat mir nichts Böses, aber wohl war mir nie, wenn die Stalltüren knarrten und er in die Küche trat. Ich kann mich an kein Lachen von ihm erinnern. Ein lauernder Argwohn war ihm ins Gesicht geschrieben, ein sorgenvoller Ernst. Etwas missfiel ihm. Etwas bedrückte ihn. Etwas brachte ihn in Rage. Er war grob zu seiner Frau. Ohne Rücksicht auf das Kind, das alles mithören konnte, schrie er sie an, Verbote, Vorwürfe. Es ging oft um Geld oder um ihre Kinder, er drohte ihr mit seiner Hand. Oft weinte meine Oma.

Lange Zeit dachte ich, Opa hätte den Blechnapf aus dem Krieg mitgebracht. Er war im Zweiten Weltkrieg in der Normandie stationiert gewesen. Ich wusste nicht, ob er das Töten gelernt hatte, das im Krieg nicht „Töten“, sondern „Besiegen“ und „Verteidigung“ heißt. Ich wusste nur, dass er hinter der Front für die Versorgung der Truppe zuständig und Kochhilfe gewesen war. Den Blechnapf hielt ich deshalb für sein Soldatengeschirr. Irgendwann klärte mein Vater, der sein Sohn war, mich auf. Ein britisches Kampfflugzeug war außerhalb des Dorfes auf einer baumlosen Anhöhe, dem Weißen Moos, abgestürzt. Das erregte großes Aufsehen. Ein paar mutige Dorfbewohner gingen hoch aufs Weiße Moos, um sich das Wrack anzuschauen. Von einem toten Piloten ist nichts überliefert, was jedoch mit dem Flugzeugwrack geschah, wusste Vater genau. Es wurde zerlegt, auseinander zersägt und unter den Dorfbewohnern verteilt. Aus dem Aluminium wurden vom Dorfschmied Töpfe und Deckel und Schalen hergestellt. So kam meine Oma zu dem Blechnapf, aus dem später ihr vom Krieg heimgekehrter Mann seinen Milchkaffee trank.

Der Blechnapf hängt seit ein paar Jahren an meiner Wand. Er erinnert mich an Opas finsteres Schweigen und an meine lange Unwissenheit.

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