Neulich das Gespräch mit drei deutschen Schriftstellern in der „Zeit“. Es ging um die Funktion der Literatur und eine ihrer Ansichten war, dass Literatur der Raum für Gegenentwürfe sein müsse. Sie kann also fordern die Grenzen zu öffnen, abzuschaffen, ohne sich um die realen Konsequenzen zu kümmern. Sie kann die Abschaffung des Systems fordern ohne wirklich zu wissen, welch besseres System es geben könnte.
Sie kann Misstände anprangern ohne realpolitische Überlegungen, wie man sie beseitigen kann, anstellen zu müssen. Sie darf ein Raum für Utopien sein. Als ich das las, merkte ich, dass ich zwar von diesen intellektuell sehr scharfsichtigen Thesen und Forderungen beeindruckt war, dass sie mir altbekannt waren und dass ich mich in vielem diesen Autoren anschließen würde, dass mich aber dieser Ruf aus dem Elfenbeinturm doch auch etwas enttäuschte. Was mich störte, war, dass sich meine Kollegen vornehmlich auf ihre Rolle als Schriftsteller zurückzogen. Wer von ihnen würde seinen Schreibtisch verlassen, um denen zu helfen, deren Kommen sie so sehr begrüßten? Wer von ihnen würde, länger als es für eine Buchrecherche notwendig ist, sich den Aufgaben stellen, die eine unbegrenzte Aufnahme von Flüchtlingen bedeuten würde? Wer von ihnen würde es riskieren, als gewählter Volksvertreter den gesellschaftlichen Kompromiss zu suchen und Hohn zu ernten, als Mitglied einer Hilfsorganisation täglich an seine Grenzen zu stoßen, als Entscheider oder Polizeibeamter Gesetze umsetzen zu müssen, die nun mal gelten? Wer von ihnen würde seinen Schreibtisch verlassen, um sich um eine hilfsbedürftige Familie, um einen unbegleiteten Jugendlichen, um die Beschäftigung frustrierter junger Männer in den Massenunterkünften zu kümmern? Und zwar länger und intensiver als nur für ein paar Wochen? Das fragte ich mich. Sie verlangten Großes von der Politik und von der Gesellschaft, nicht aber von sich. Sie konzentrieren sich darauf die Halbwahrheiten und das Versagen der Politik heraus zu stellen und nutzen ihr Privileg um weiterhin ihre Bücher zu schreiben. Mir aber war ihre Haltung zu arrogant. Ein Schriftsteller, der immer nur Kritik übt, kommt mir vor wie einer, der sich immer auf einem wunderbar bequemen Aussichtsposten befindet, von dem er meint den besten Ausblick, den Überblick, den Weitblick zu haben. Er blickt hinunter auf das Kampfgeschehen der Weltgeschichte ohne sich die Kleider schmutzig zu machen. Er schaut nur und urteilt und weil er nichts tut, sich nicht handelnd einmischt, nicht wirklich eingreift, macht er als Mensch und Bürger auch keine Fehler.